city.crime.control hat ihre Kritik an städtischen Entwicklungsprojekten am Beispiel der Bremer Überseestadt und der Hamburger Hafencity  in einem Text zusammengefasst, der in der Dezember/Januar-Ausgabe der Bremer Zeitschrift zett erschienen ist:

Wohnen, Gewerbe, Gemüse

Der Umzug der Hochschule für Künste 2003 in den Speicher XI markiert eine Neuorientierung des durch diverse Investitionsruinen angeknacksten Planungsdenkens der Stadt. Kultur, in den ersten Entwürfen zur Überseestadt ein eher unbestimmter Aufwertungsfaktor, wurde nun zum Motor der Stadtteilentwicklung. Das Ensemble aus Speicher XI und dem benachbarten Gemüse-Grossmarkt (sic!) zeugt noch heute davon, wie abrupt der Übergang von der alten Planung zur neuen verlief.

Damit löste sich die Überseestadt auch von der Hamburger HafenCity, die bis dahin als ein Vorbild innerhalb eines internationalen Trends zur Revitalisierung von Industriebrachen vor allem an Gewässerrändern gedient hatte. Dort wurde seit 1997 ein neuer Stadtteil am Reißbrett entworfen, mit exklusiven Büros, Wohnungen und einem Kulturleuchtturm (Elbphilharmonie).In Bremen sollte zunächst um die bestehenden Reste der Hafenwirtschaft herum eine ähnliche Nutzungsmischung entstehen.

Nun wurde eine umfassende Imagekampagne lanciert, die die Überseestadt als modern, kreativ und lebendig darstellt, bevor auch nur das erste Wohnhaus fertig ist. Betriebe der Kreativwirtschaft wurden durch anfängliche Dumpingmieten gelockt und tragen dazu bei, das Bild zu festigen. Kritik regt sich bisher nur bei VertreterInnen der “Medienmeile” zwischen Weser-Kurier und Radio Bremen, die eine ähnliche Imageverfestigung für ihr Quartier planten und jetzt das Nachsehen haben, sowie bei der Hafenwirtschaft, die befürchtet, die neuen NutzerInnen werden die alten wegen derer Lärm- und Gestanksemissionen behelligen.

Wer sich auf den Werbewebseiten zur Überseestadt umguckt, findet Animationen und Computergrafiken, die den Ton vorgeben, den der neue Stadtteil treffen soll: Alterslose, gut gekleidete MacherInnen tummeln sich zwischen tatsächlich geplanten “Bürolofts” und modern wirkenden Platzhaltern, die in Ermangelung echter Pläne Bebautheit simulieren. Die Stimmung erinnert an den Mittelmeerurlaub in den Siebzigern, nur mit Büros dazwischen. Der “Grossmarkt” wird, weil weder zukunftsweisend noch malerisch, ganz ausgeblendet.

Die simulierte Klientel hat sich, durch die Anreize für die Kreativwirtschaft, tatsächlich bereits angesiedelt, soweit es sich dort schon siedeln lässt. Die Mieten steigen, nicht nur für die Büros, auch die für die Wohnsiedlung am “Weserufer” haben sich seit Vorstellung der ersten Baupläne mehr als verdoppelt. Dafür gibt es dort echtes südländisches Flair bis hin zu Außenventilatoren – inklusive Schatten vom Hochhaus am Südende.

Die bisherige Entwicklung der Überseestadt lässt sich auch als virtuelle Gentrifizierung beschreiben: Ein abgewirtschafteter Stadtteil wird durch relativ zentrale Lage und billige Mieten interessant für Kreative, entwickelt dadurch einen guten Ruf und zieht schließlich wohlhabendere Gruppen an, die die früheren, ärmeren Mieter verdrängen. Die ersten Stufen dieser Entwicklung finden hier aber weitgehend als Imageproduktion statt, die letzte ist erreicht, wenn die erste wirkliche Wohnung bezogen wird. Das ist praktisch, geht schneller, macht weniger Dreck, und es muss niemand vertrieben werden.

Jetzt ergibt sich auch wieder eine Annäherung an die HafenCity: die dortigen Bewohner sind wohlhabende, gesetzte “Re-Urbaniten”, die ihren Lebensabend in zentraler Lage, aber ohne die Zumutungen des wirklichen Stadtlebens verbringen wollen. In Bremen wie in Hamburg entsteht so weniger ein Stadtteil als vielmehr die Simulation von Stadt.

Christian Vähling, city.crime.control

ulf_t, 23.11.09